Es hält sich hartnäckig das Gerücht mit den PET-Flaschen: „Die werden doch extra produziert, um sie dann als Rohstoff für Recycling zu verwenden.“ Doch allen Recherchen zum Trotz liegen bislang keine belastbaren Belege vor, dass dem tatsächlich so wäre.

Kai Nebel, Nachhaltigkeitsbeauftragter, Leiter Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit & Recycling und zugleich Ansprechpartner für interne und externe Anfragen zu dem Thema Nachhaltigkeit in der Textilbranche an der Hochschule Reutlingen, vermutet zwar auch, dass „im Zuge der Recycling-Euphorie wohl – auch aufgrund der hohen Nachfrage und dem früher noch knappen Angebot – neue Flaschen zu Produkten aus rPET gemacht wurden“. Doch den zitierfähigen Nachweis bleibt auch er schuldig. Nebel vermutet aber auch, dass heute keine neuen Flaschen mehr extra produziert werden, um sie dann zu recyceln: „Da die zu erzielenden rPES-Preise sich an virgin PES angenähert haben und wohl inzwischen genügend Altflaschen gesammelt werden, ist das Ganze nicht mehr so attraktiv.“ Auch wenn weltweit in kaum einem Land gebrauchte PET-Flaschen so systematisch wieder eingesammelt werden wie in Deutschland mit seinem ausgeklügelten Pfandsystem, so funktioniert das Einsammeln und Wiederverwerten dennoch überall – irgendwie. Für Textilhersteller bieten PET-Flaschen die Chance, den Weg zur Kreislaufwirtschaft zu ebnen – wohlwissend, dass auch der Rohstoff PET endlich ist und Plastik eben Plastik bleibt. Kritiker wie Kai Nebel betrachten die Herstellung von Kleidung aus Altplastik jedoch eher als Marketingaktion, die mit Nachhaltigkeit wenig zu tun habe. Der Prozess des Umwandelns von PET zu Garnen mit Einsammeln, Reinigen, Trennen in die Bestandteile, Entfärben und anderes mehr sei aufwendig und erfordere viel Energie und Chemie. Zu bedenken sei auch, dass die meisten PETFlaschen in Europa gesammelt und in Asien CO2-intensiv verarbeitet würden. Anstatt aus einer kurzlebigen PET-Flasche ein kurzlebiges Textilprodukt herzustellen, sollte die Devise heute vielmehr lauten, Plastik insgesamt zu reduzieren und Kleidung langlebiger zu machen. Auch Bianca Seidel, Expertin für Ecodesign und Beraterin für Nachhaltigkeit in der Bekleidungsindustrie, empfiehlt ihren Kunden, nicht auf diese Ideen des Plastik-Recyclings zu setzen. Sie sieht die Lösung in globalen Pfandsystemen für alle Produkte. „Dann können PET-Flaschen global wieder zu PET-Flaschen verarbeitet werden und bleiben in ihrem Kreislauf. Und Bekleidung wieder zu Bekleidung.“ Für diese Form einer reinen Kreislaufwirtschaft müssen Textilien jedoch aus Monofasern hergestellt werden, betont Bianca Seidel. Bei Mischgeweben, aber auch bei Bekleidung mit aufgebrachten Patches klappt es wieder nicht so einfach oder gar nicht. Ihren Kunden rät sie zur Herstellung von Kleidung aus Naturfasern in einer hochwertigen Verarbeitung, um dadurch Langlebigkeit zu gewährleisten. In der Entwicklung setzt sie dabei auf das Prinzip des Ecodesigns. Kurz erklärt bedeutet dies, das gesamte Thema Nachhaltigkeit und Zirkularität bereits am Anfang des Designs mitzudenken. „Wenn ich ein neues Produkt entwickle, muss ich mir von Anfang an die Frage stellen, was mit dem Produkt am Ende seines Lebenszyklusses passiert, so Seidel.

Wirtschaftssystem anders denken

„Wenn PET-Flaschen sortenrein im Kreislauf bleiben, dann ist das gut, wobei die Kombi mit einem Pfandkonzept natürlich besser ist“, findet Jörg Gätjens, Professor für Produkt- und Interiordesign mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Kölner Hochschule ecosign | Akademie für Gestaltung. Er sieht grundsätzlich einen berechtigten Stellenwert für Recycling- und Upcyclingkonzepte, um vorhandene Produkte langfristig am Leben zu erhalten einen weiteren Produktlebenszyklus von vorne herein mitzudenken. Zugleich weist Gätjens jedoch auf Probleme hin, etwa beim Einsatz von gebrauchten PET-Flaschen in Kleidung. So erfordere die Gesamtbilanz des Sammeln und Aufbereitens von PET-Flaschen viel Energie für Transport und Produktion. Zudem bleibe das grundsätzliche Problem des Mikroplastiks bestehen, das am Ende irgendwann im Meer, in Gewässern und auch in unserem Trinkwasser lande. Und auch gesundheitliche Aspekte beim Tragen von Textilien auf der Haut aus recycelten PET-Flaschen sind seiner Einschätzung nach unter Umständen zu hinterfragen. So kann recyceltes Plastik Giftstoffe oder Appreturen enthalten. Um unangenehme Gerüche zu mindern, werden die Textilien nochmals chemisch behandelt, also ein weiterer kritischer Faktor. In der Lehre an der Kölner Hochschule ecosign setzt Gätjens in erster Linie auf Design von Produkten, die auf eine langfristige Nutzung und eine Reparierbarkeit hin entwickelt werden. Zugleich wird immer hinterfragt, ob ein Produkt zum Beispiel durch eine Dienstleistung substituiert werden kann. Erreicht ein Produkt sein Lebensende, muss es – wenn im Entwurfsprozess mitgedacht – für eine Zweitverwertung in einem zweiten Nutzungszirkel brauchbar sein. Zirkularität und Selbsterhalt eines Produkts sind also das oberste Gebot. Design sieht Gätjens als eine Software (basierend auf einem Zitat von Niko Paech aus dessen Essay zur Postwachstumsökonomie „Geschichte des nachhaltigen Designs“, 2013), die dabei unterstützt, Materialien in Produkte umzuwandeln. Um die Produktentwicklung jedoch nachhaltig gestalten zu können, müsse auch das Betriebssystem passen. „Unser derzeitiges Betriebssystem, also unser Wirtschaftssystem, wird mit energieintensiver Nutzung von immer mehr Rohstoffen am Leben erhalten werden. Das Betriebssystem basiert auf einer permanenten Überbeanspruchung des Planeten, der bereits an seine Grenzen gestoßen ist. Wenn wir die Klimaziele schaffen wollen, ist eine grundsätzliche Verhaltensänderung erforderlich.“ Den Studierenden der ecosign gibt Gätjens immer die Überlegung mit auf den Weg, auch das Wirtschaftssystem anders zu denken. Als positives Beispiel eines Unternehmenskonzepts nennt Gätjens den Jeanshersteller MUD Jeans, der seine Produkte nicht nur verkauft, sondern mit einem Leasing-Modell vermietet. Die Jeans bleibt dabei im Eigentum des Herstellers. „Das Unternehmen hat somit ein Interesse an der Qualität und Langlebigkeit der Produkte. Zudem bietet MUD die Jeans auch als Second-Hand-Ware an und nimmt Produkte am Ende des Lebenszyklus zurück, um die Baumwolle in den Kreislauf zurückzuführen.“ reutlingen-university.de bianca-seidel.de ecosign.de

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