Norafin-Geschäftsführer André Lang (links) und Tobias Reißmann, Geschäftsführer von Xenon Automatisierungstechnik, bei einem Vor-Ort-Termin in der Maskenproduktion von Norafin. (Foto: Norafin Industries)

„Den Mittelständlern wurden von der Bundesregierung viele Millionen für die Entwicklung von textiler Schutzausrüstung in der Pandemie versprochen. Doch angekommen ist bei den Textilern in Sachsen bis jetzt nichts“, stellt Dr.-Ing. Jenz Otto, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V. (vti), enttäuscht fest. Während die deutschen Bürger in den Apotheken seiner Ansicht nach weiterhin Masken aus China mit teilweise fragwürdigen Kennzeichnungen auf die Gutscheine der Bundesregierung erhielten, wurden für die Qualitätsmasken „made in Germany“ eigene Vertriebswege aufgebaut.

Eine Reihe von Textilunternehmen, die den Aufrufen der Regierung zur Produktion von Schutzausrüstung im Frühjahr 2020 mit großer Euphorie, viel Enthusiasmus, hohen Investitions- und Entwicklungskosten gefolgt sind und den Versprechungen vertraut haben, sind bei der Förderung leer ausgegangen. Ein Beispiel dafür ist Norafin aus Sachsen. Das weltweit agierende Unternehmen ist fest im Erzgebirge verwurzelt und führt die regionale Tradition der Textilund Vliesstoffindustrie fort. Innovationen von der Idee bis zur Markteinführung werden beim Hersteller hochwertiger Materialkonstruktionen, technischer Spezial-Vliesstoffe und Composites eigenen Angaben zufolge seit jeher großgeschrieben. Norafin bedient dabei hauptsächlich weltweit industrielle Märkte sowie den Endkundenmarkt über einen Online-Shop und den direkten Werksverkauf. Als die Coronapandemie im Frühjahr 2020 in Deutschland ankam und der Bedarf an Masken sprunghaft anstieg, baute Norafin Industries innerhalb weniger Wochen einen neuen Produktionszweig auf. Einen hochmodernen, mit Ultraschall längsverschweißten Vliesstoff fuhr man morgens zu 16 Heimarbeiterinnen im Umfeld. Die Frauen nähten die Bändchen an und abends wurden die fertigen Mund-Nasen-Masken „B2 Raffung“ wieder abgeholt.

„Verheißungen und der Wille zu helfen beflügelten“

Nach einem Treffen im April 2020 in Berlin, zu dem das Bundeswirtschaftsministerium auch Norafin-Geschäftsführer André Lang eingeladen hatte, ging die Entwicklung einer FFP2-Maske schließlich richtig los. Die „Verheißungen und der Wille zu helfen beflügelten“ die Textiler nach eigener Aussage. Eine angepasste Förderrichtlinie versprach, notwendige FuE-Investitionen in die Produktion deutscher Schutzbekleidung schnell zu ermöglichen. Das deutsche Gesundheitswesen sollte diese abnehmen. Gleichzeitig wollte die Regierung damit das nationale Pandemielager befüllen. Der Vliesstoffspezialist Norafin fand sich schließlich mit dem Dresdener Anlagenbauer Xenon Automatisierungstechnik zusammen. Beide Unternehmen entwickelten gemeinsam eine High-Tech-Maskenproduktionsanlage, die zertifizierte FFP2-Masken vollautomatisiert, ohne manuelle Arbeitsschritte produzieren kann. Seit Juni konnten mit der ersten Pilot-Anlage 20.000 Alltagsmasken „Nora LIGHT“ pro Woche produziert werden. Der Nachfolger schafft heute sogar bis zu 250.000 Masken pro Woche. Die zertifizierte FFP2 Maske „Nora F“ filtert mindestens 94 Prozent der Partikel und Aerosole, die größer als 0,6 μm sind. Damit minimiert sie für den Träger und dessen Gegenüber das Corona-Infektionsrisiko im geforderten Standard. Die Masken werden ausschließlich in Sachsen auf sächsischen Maschinen und mit in Deutschland gekauften Rohstoffen hergestellt. Die Maske besteht aus vier Schichten Spezialvliesstoff. Die Außenlage (100 Prozent PET) sorgt für Stabilität und eine erste Filterung von Staub, die doppelte Mittellage (100 Prozent Polypropylen) sichert die Filtration der Aerosole ab und die Innenlage (ebenfalls 100 Prozent PET) transportiert die Feuchtigkeit der Atemluft nach außen. So gibt es dem Hersteller zufolge keine Probleme beim Atmen. Die nächste Innovationsstufe der „Nora F“ ist schon geplant: Dabei stehen die Nachhaltigkeit mit recyclingfähigen und kompostierbaren Materialien, die antivirale und bakterielle Funktionalität sowie der Tragekomfort im Blickpunkt des Entwicklungsteams um Marc Jolly (Head of Research and Development) und Johannes Loos (Business Unit Manager).

„TÜV und Dekra hatten keine Kapazität“

Die Herausforderung der Zertifizierung mit dem CE-Kennzeichen als FFP2-Maske wurde schließlich in der Türkei bei einem unabhängigen Prüfinstitut mit Erfolg gemeistert. TÜV und Dekra in Deutschland hatten für das Thema dem Hersteller zufolge keine Kapazität; Zertifizierungsstellen in anderen europäischen Ländern behandelten inländische Unternehmen bevorzugt. Noch vor Weihnachten 2020 lief dann die Produktion und der Verkauf über einen neu eingerichteten Online-Shop (www.mein-vlies.de) an.

Große Enttäuschung über Förderablehnung

Nach der Entwicklung der Maske „made in Saxony“, vielen Zusatzschichten mit Xenon-Ingenieuren und der Investition hoher sechsstelliger Summen zeigte sich André Lang und sein Team enttäuscht, als der Ablehnungsbescheid für die Förderung der sächsischen Maskenproduktion vom Bundeswirtschaftsministerium einen Tag vor Weihnachten in den Briefkasten des Unternehmens flatterte. „Deutsche Produkte aus deutschen Anlagen, mit deutscher Technologie und textilem Verfahrens-Know-how, das weltweit gefragt ist, hat in der deutschen Politik einfach nicht den Stellenwert wie die schnellen zollfreien Importe aus China. Diese Masken, die nebenbei eine hohe CO2-Belastung durch die langen Transportwege darstellen, werden zu einem vermeintlich niedrigen Preis eingekauft, sind oft von minderwertiger Qualität und bieten nicht die notwendige Sicherheit“, resümiert André Lang seine Erfahrungen zur Versorgungsstrategie des Bundes und auch der Sächsischen Landesregierung. Norafin geht daher jetzt auch bei den Masken eigene internationale Vertriebswege.

 

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