Heimtrikot von Eintracht Frankfurt in der Saison 2021/22. (Foto: Eintracht Frankfurt)

(TVP/AF) Es dürfte der größte Erfolg in der Geschichte von Eintracht Frankfurt gewesen sein: Der Sieg in der Europa League gegen die Glasgow Rangers am 18. Mai bedeutete nicht nur die Teilnahme an der nächsten UEFA Champions League, sondern steigerte praktisch über Nacht noch einmal erheblich das europaweite Interesse am hessischen Traditionsverein und damit auch die Nachfrage nach zahlreichen Merchandising-Artikeln. Beim Blick auf das Sortiment wird deutlich, dass Eintracht Frankfurt nicht nur in fußballerischer Hinsicht in der Bundesliga spielt. Der Verein punktet laut einer Studie auch als „Nachhaltiger Fanshop“ und gehört diesbezüglich zu den Top-5-Bundesligisten.

Beim Einkauf achtet Martin Schittko, Abteilungsleiter Produktmanagement im Merchandising, sowohl auf die Verwendung von Textilsiegeln wie GOTS oder Fair Trade als auch auf ökologische und soziale Standards innerhalb der Lieferkette. Bei ihm stehen also Produktqualität und Umweltverträglichkeit hoch im Kurs. Anders sieht es bei Herstellern von gefälschten Trikots aus: Fake-Fantextilien sowie der Markenmissbrauch von Logo und Vereinsname passen nicht in die Fanartikel-Politik der Hessen. Um sich einen Überblick zu verschaffen, wo Markenmissbrauch in welchem Umfang stattfindet, arbeitet Schittko seit Dezember 2021 mit Sentryc, einem Anbieter von Brand Protection Software, zusammen. Caps im Sommer, Mützen, Schals, Handschuhe sowie Sitzkissen im Winter: Als vor der Pandemie das Stadion noch gut gefüllt war, machten Bedarfsartikel zum Spielbesuch das Kernsortiment des Vereins aus. Mit Corona und leeren Kurven wandelte sich die Umsatzverteilung im Bereich Merchandise stark, und das Team um Schittko ging immer neue Wege, um die Fans der Sportgemeinschaft Eintracht Frankfurt, kurz SGE, mit passenden Artikeln abzuholen. Rucksäcke aus upgecyceltem Autoschrott oder Holzuntersetzer aus regionalen FörderWerkstätten – die Auswahl der Produktwelt und ihrer Lieferanten macht klar, wohin die Reise am Main geht. Nachhaltigkeit, kurze Lieferwege und Support der heimischen Wirtschaft bilden Kernwerte des Procurements.

Fair Play mit Lieferanten

Das Bewusstsein für eine umwelt- und sozialverträgliche Fanartikelauswahl ist seit Jahren in der kompletten Bundesliga angekommen. Wie viele andere Vereine arbeitet Eintracht Frankfurt mit einem Pool aus Lieferanten, die in unterschiedlichen Facetten auf Sport, die Bundesliga und Merchandise spezialisiert sind. Manche von ihnen wie das norddeutsche Unternehmen Brands Fashion setzen schon seit Jahren auf BioBaumwolle und zertifizierte Kleidung. „Für GOTS- und Fair-Trade-zertifizierte Textilien haben wir uns aus eigenem Antrieb entschieden. Dazu setzen wir auf eine vertrauensvolle Partnerschaft mit den Lieferanten“, betont Schittko.

Steigendes Interesse am Herstellerland

Auch „Made in Hessen“ gehört zur Produktionsstrategie von Eintracht Frankfurt, die damit ein klares Statement für den Support der heimischen Wirtschaft setzt. „Bis vor Kurzem hat auf Kundenseite fast niemanden das Herstellerland interessiert“, so Schittko. „Doch der Fakt, dass wir mit lokalen Partnern arbeiten, erfährt zunehmend Wertschätzung von den Fans, die ja auch ein Abbild unserer Gesellschaft sind.“ Der Lieferantenpool der SGE setzt sich wie folgt zusammen: 30 % China, 30 % andere Länder Fernost, 40 % Europa und darunter 20 % Deutschland. Der immense Anstieg der Transportkosten sowie unüberschaubare Lieferketten machen den innereuropäischen Markt im Gegensatz zum außereuropäischen auf lange Sicht interessant für die Produktion. Überschaubar soll auch das Vertriebsnetz bleiben. Online setzen die Frankfurter auf den eigenen Fanshop als primären Vertriebskanal. „Wir verkaufen unsere Produkte auch über lizensierte Händler, aber aus strategischen Gründen nicht über Drittplattformen. Das passt nicht zu unseren Markenwerten und zu dem, wie wir arbeiten möchten“, berichtet der Produktverantwortliche.

Trick or Trikot

Auf den großen Online-Marktplätzen poppen immer wieder gefälschte Trikots und anderes, nicht lizenziertes Merchandising auf. Das Thema Fakes und Markenrechtsverletzungen begleitet Martin Schittko, seitdem er 2012 zu Eintracht Frankfurt kam. Ganz hoch im Kurs stehen bei Produktpiraten die Spielertrikots des offiziellen Ausrüsters Nike. „Direkte Plagiate sehen wir fast ausschließlich bei Trikots“, berichtet er. „Und sobald es zu außerordentlichen sportlichen Erfolgen wie einem Pokalfinale oder der Teilnahme am Europapokal kommt, sprießen die Anbieter von Fälschungen wie Pilze aus dem Boden und fluten das Netz.“ Das zu jeder Saison neu designte und produzierte Trikot spielt eine große Rolle als Umsatzstürmer und Publikumsliebling. Auch wenn die Fakes immer besser werden, spüren Experten wie das Verkaufsteam im stationären Shop schnell, ob die Shirts, die unsichere Fans zum Check vorbeibringen, echt sind. Erstaunlich ist auch das Tempo, in dem die Fälschungen auf den Markt kommen: „Wir stellen Donnerstag das neue Trikot offiziell vor und wenn am folgenden Montag jemand aus dem Team in die Türkei fliegt, dann kann er es schon als Plagiat am Strand kaufen“, ärgert sich Schittko.

Wenn Fakes Saison haben

Wie schnell Fälschungen in Umlauf geraten, musste die SGE auch zu Pandemiezeiten erleben: Der Verein verkaufte Schutzmasken im Eintracht-Design – ausschließlich im stationären Handel in Frankfurt und online über den offiziellen Fanshop. Kurze Zeit später tauchten die Masken auf zahlreichen Plattformen im Internet auf. Schittko schaltete daraufhin einen Markenrechtsanwalt ein, der jeden einzelnen Link an die Plattformen mit dem Hinweis weiterleitete, dass dieser entfernt werden müsse. Alle Fake-Angebote von der Plattform zu entfernen war ein Fulltime-Job, der vereinsintern viele Arbeitsstunden kostete.   Neben direkten Fälschungen muss sich Eintracht Frankfurt größtenteils mit Markenrechtsverletzungen auseinandersetzen. Dabei handelt es sich um Produkte, die der Verein nicht im Sortiment hat, auf denen aber das Logo des Vereins zu sehen ist. Laut Schittko geht es bei dem Brand Abuse viel um On-Demand-Designs wie zum Beispiel Trainingsanzüge, die Portale in 20 möglichen Farben anbieten und auf die Händler dann verschiedenen Logos wie das von Eintracht Frankfurt drucken. „Auf Facebook stellen Gruppen das Problem dar“, berichtet Schittko. Handwerker und Kleingewerbe-Betreiber bieten On-Demand-Feuertonnen und andere Artikel mit dem Logo an, ohne sich zwangsläufig darüber bewusst zu sein, was sie da tun. Solche Deals verbreiten sich in Fankreisen wie Lauffeuer. Auch wenn das Merchandise-Team diese Personen direkt anspricht und auf den Markenmissbrauch hinweist, sind dem Verein doch die Hände gebunden, weil die Verkaufskommunikation zumeist im Privatchat abläuft. Seinen ersten Aha-Moment in puncto Brand Abuse erlebte der Produkt-Verantwortliche vor ungefähr sechs Jahren. Chinesische Anbieter zeigten starke Präsenz auf Social Media und boten T-Shirts, beispielsweise bedruckt mit Snoopy, den Simpsons oder Batman, an. Diese Charaktere wurden als Fans verschiedener Vereine gezeigt, mal mit einem Oberteil von der Eintracht, mal von Hertha BSC, und die Ads für die jeweiligen Fangruppen ausgespielt. Zwischenzeitlich sperrte Facebook die Werbung, doch sie tauchte immer wieder auf. Ein riesiger Markenrechtsverstoß insgesamt, gegen den die Vereine jedoch rechtlich machtlos waren. Betreiber aus Asien, oft Indonesien, spielten über Jahre Katz und Maus mit Vereinen und deren Anwälten bis Facebook das Dilemma unterband. In Martin Schittkos Mailaccount liefen über die Jahre immer mehr Missbrauchsfälle auf. Kollegen meldeten ihm Funde von Amazon, eBay Kleinanzeigen und anderen Plattformen. Der Check und die Bearbeitung der Fälle raubten ihm wertvolle Kapazitäten. Während der Pandemie mit ihren leeren Stadien beauftragte er Fanshop-Mitarbeiter damit, sich zwei Wochen durch die Marktplätze und Social-Media-Kanäle zu pflügen, um einen Überblick darüber zu erlangen, wo überall Eintracht-Frankfurt-Produkte illegal im Umlauf sind. Er brachte Struktur in das Business, fügte Kanäle, Produkte und Links zusammen. Das Ausmaß des Markenmissbrauchs kam ans Licht. „Hier haben wir erstmal die Fälle sondiert, die keine Markenrechtsverstöße darstellen“, erinnert sich der Abteilungsleiter. „Es waren Eintracht-nahe Produkte, auf die wir keinen Markenschutz haben, wie zum Beispiel gefärbte Weidenbäumchen, die der Anbieter ‚Eintracht-Bäumchen‘ nennt. Da ist kein Logo drauf, da steht nicht Eintracht Frankfurt. Keine Chance! Geschützt ist nur die Wortkombination Eintracht mit Frankfurt, unsere Kürzel und das Logo in Varianten.“ So war das Team bis Ende letzten Jahres immer mal wieder auf Marktplätzen unterwegs, schrieb die eigene Rechtsabteilung bei besonders dreisten Verstößen an, dass hier klarer Handlungsbedarf besteht – ein Stochern im Trüben und dazu zeitaufwendig.

Argusaugen statt Kampf gegen Windmühlen

Das interne Scouting weckte in Martin Schittko den Wunsch, genauer in den Markt einzutauchen und sich einen realistischen Überblick zu verschaffen. „Was uns ärgert, ist, dass man sich an unserer Marke bereichert und sie ausnutzt. Fans kaufen im Shop ein Trikot für 90 Euro und sehen, dass auf Alibaba das scheinbar gleiche Trikot für 15 Euro zu haben ist. Das ist nicht gerade förderlich.“ Neben der Masse stößt dem Merchandise-Verantwortlichen auch auf, dass die Produkte nicht nachhaltig produziert sind und teils eine mangelhafte Produktqualität aufweisen. Um systematisch gegen Markenrechtsverstöße vorzugehen, entschied sich Eintracht Frankfurt Ende 2021 für die Zusammenarbeit mit dem Berliner Software-Anbieter Sentryc. Dessen gleichnamiges Tool durchsucht Marktplätze und andere Plattformen nach Plagiaten und Fällen von Brand Abuse. Über Machine Learning versteht die Software mit jedem Fund besser, woran Fakes zu erkennen sind und wie die Anbieter im Fall der Eintracht vorgehen. „In erster Linie wollten wir Brand Protection für uns ausprobieren, schauen was passiert und Erfahrungen sammeln“, erinnert sich Schittko. Aktuell screent Sentryc relevante, große Internet-Marktplätze für den Fußballverein. Alle potenziellen Fälschungen und Verstöße sieht der Auftraggeber auf einen Blick in seinem Dashboard und veranlasst mit einem Klick, dass die Artikel innerhalb kürzester Zeit von der Plattform verschwinden. Damit sieht der Verein zum ersten Mal, was auf dem Markt los ist, und stößt auch auf Produkte, die er gar nicht im Sortiment führt. „Wir können aktuell nicht nachvollziehen, wie groß das Business dahinter ist, weil wir nicht wissen, wie viele Artikel auch verkauft werden. Aber wir wissen jetzt, wo die Trikots in welchem Umfang angeboten werden. Unser Ziel, das wir mit Sentryc erreichen: Gefälschte Produkte und Markenrechtsverletzungen einfach und schnell aus dem Netz kriegen.“

Das Resultat: Zeitersparnis

Bisher hat das Tool schon Treffer im vierstelligen Bereich, so genannte Findings, gelandet. Martin Schittko entfernt Fälschungen online mit zwei bis drei Klicks und freut sich über die gewonnene Zeit. Vorab investierte er geschätzt um die fünf Minuten in einen Verdachtslink, der in seinem Postfach landete. Hochgerechnet auf mehrere Hundert Fälle insgesamt, ergibt sich eine utopische Summe von Arbeitsstunden und ein massiver Bedarf an personellen Kapazitäten. Mit dem neuen Tool benötigt der Frankfurter lediglich 15 Minuten pro Monat für dieses Thema. Angenehmer Zusatznutzen: Dank eines Automatisierungsfeatures landen bestimmte Händler direkt auf einer „not allowed“-Liste und werden dauerhaft geblockt. Ein klares Abseits für Produktpiraten!

eintracht.de / sentryc.com  

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